Der Weg der Schießgesellen zur organisierten Schützengesellschaft 1810 bis 1840              

                                                                                                                                                                                

Unbeantwortet bleibt zunächst die Frage, seit wann den Schießgesellen eine eigene Schießstätte, ein Ort der sportlichen Schulung, zur Verfügung stand, und wo dieses erste Schießhaus zu suchen ist. Frühestens wird für Lichtenfels ‑ wie schon oben erwähnt ‑ die "Gemein Schueshütten" (=gemeindliche Schießhütte) im Rechnungsjahr 1543/44 genannt, jedoch läßt sich aus dem knap­pen Hinweis der Standort des Hauses nicht ersehen. Erst das Bittgesuch vom 24. August 1617, welches Schützen und Schießgesellen an den Amtmann richteten, um die gegen sie erkannte Buße von hundert Gulden abzuwenden, weist auf den Burgberg hin. Wenn auch Einzelheiten über letzt­ erwähnten Vorfall fehlen, war es doch sicherlich so, daß die Schützen, um sich bei den Haupt­schießen größeren Zulauf zu sichern, ein Kleinod aushängten. Das heißt, sie führten eine volksfest­artige Veranstaltung mit allerlei Spielen vermutlich ohne behördliche Genehmigung durch. In früheren Jahren war dies den Schützen ohne weiteres erlaubt; die Lichtenfelser Forst‑ und Kasten­rechnung von 1554/55 spricht ausdrücklich von einer Zuwendung, die der gnädige Herr (= Bischof) zu dem "Kleynot‑Schießen" hier gab, welches die jungen Bürger zu Lichtenfels "wieder" ange­fangen. Also schon dieses frühe Schießen knüpfte an eine noch ältere Tradition an. Der Burgberg war hierzu der geeignete Ort. Noch breiteten sich damals die mächtigen Wälle, unter deren Schutz, gefahrlos der Schießsport betrieben werden konnte. In der Bestallung (Dienstvertrag) für den zweiten Amtsknecht zu Lichtenfels von 1541, welcher bischöflicher Angestellter seinen Dienstsitz auf dem alten Schloß hatte, ist unter andern erwähnt, er habe auf das Schloß zu achten, damit weder die Steine verschleppt, noch die Dämme abgetragen werden. Die Voraussetzungen zur Ab­haltung von Schießübungen im Bereich der einstigen Befestigung waren somit gegeben. Im Übrigen wurde bei den älteren Schützenfesten, zurück bis ins 14. Jahrhundert, der Schützenkönig bekannt­lich durch ein Vogelschießen ermittelt. Räumlich große Schießplätze waren dabei nicht erforderlich.

Die ersten Schützenvereine kannte man bereits im 14. Jahrhundert in den Niederlanden. Später wurden sie auch in Deutschland eingeführt. Sachlich und zeitlich ist also auseinanderzuhalten:

a) zwischen den von Amtmann und Bürgermeister geworbenen, in erster Linie an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit mitwirkenden Schießgesellen, und

b) den eigentlichen Schützengilden, die aus freiem Antrieb auf Vereinsgrundlage sich zusammenfanden, um den Schießsport zu pflegen. Letzere entwickelten sich schrittweise aus ersteren.

Mit dem Abbruch des alten Schlosses auf dem Burgberg und der systematischen Schleifung der Burgwälle im 17. und 18. Jahrhundert stellten sich andere Bedingungen ein. Wohl schon in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts dürfte für die Schützengilde die Notwendigkeit der Wahl eines neuen Platzes sich ergeben haben. Der genaue Zeitpunkt ist zwar nicht bekannt. Man darf aber ohne großen Zwang allerspätestens das Jahr 1700 in Erwägung ziehen. Die früheste Erwähnung der „Schießmauer auf dem Anger" erfolgt bekanntlich 1723. Ein Lichtenfelser Flurplan, der vor 1740 entstand und von dem Maler Meuser aus Schney erstellt wurde, zeigt auf dem Anger zwei Holzhütten. Sehr wahrscheinlich dienten sie bereits dem Schießsport. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, im Siebenjährigen Krieg, sowie in den darauffolgenden unruhevollen Jahrzehnten, gingen die ersten Anlagen am Anger wieder ein.

1816 Lichtenfels
Lichtenfels 1816 - rechts Bildmitte die abgegrenzte Schießbahn

 Aus Jäcks lebendiger Schilderung des Lichtenfelser Freischießens von 1811 ist zu entnehmen, daß damals alle Anlagen auf dem Schießplatz neu geschaffen wurden. Er spricht von der hohen Vogelstange und dem Schießstand, den er als ein "niedliches chinesisches Haus" bezeichnet, dann von einem größeren Holzgebäude mit drei vorspringenden Pavillons, worinnen der Schießbetrieb sich abwickelte; Bilder aus jener Zeit bekräftigen das Gesagte. Diese neuen Einrichtungen dankte die Gesellschaft dem damaligen 1. Schützenmeister, dem Fabrikanten Joseph Felix Silbermann. Dieser, als die Seele der Gesellschaft und als der wohlhabendste Bürger der Stadt, zugleich aber auch ab 1818 ihr Bürgermeister, fördert die eingeleiteten Bestrebungen mit voller Hand. Die Stadt blieb nicht untätig zur Seite. Der Stadtrechnung von 1811/12 ist zu entnehmen, daß sie den Tagelöhner Lorenz Müller beauftragte, im Wald Stangen umzumachen, sie zu putzen und damit den Schießplatz auf dem Schießanger einzuzäunen. Zu dieser Zeit hat die Stadt Lichtenfels 1.380 und die noch selbständige Gemeinde Burgberg 262 Einwohner. Welches Ansehen die Schützen schon in jenen Jahren besaßen, zeigt eine Notiz, die wir Herrn Pfarrer Eger in Burgkunstadt verdanken. Im Sommer 1812 erfolgte die Grundsteinlegung zur Pfarrkirche in Burgkunstadt. Hierzu wurden die Lichtenfelser Scharfschützen eingeladen. Das Antwortschreiben von Joseph Felix Silbermann vom 27. Juni 1812 ist noch erhalten und befindet sich im Staatsarchiv Bamberg in den Burgkunstadter Pfarrakten. Silbermann dankt dem Landrichter in Burgkunstadt für die Einladung und teilt mit, er werde mit dem Landrichter und einigen Schützen zur Weihe kommen. Wenn auch die Nachrichten über die ersten Vereinsjahre nur zögernd fließen, über die Durchführung des Freischießens im Jahre 1816 hat sich doch einiges erhalten. In diesem Jahr waren laut Schützenrechnung 36 Tagelöhner und Tagelöhnerinnen drei Wochen lang mit dem Aufrichten der Zelte, mit der Beschaffung der Waldstreu und der Eichenäste, mit Kranz‑ und Guirlandenbinden sowie mit anderen Arbeiten beschäftigt. Der Aufwand für diese Arbeitskräfte betrug 130 Gulden 16 Kreuzer. Nach dem Freischießen wurde ein Teil der Behelfsbauten wieder eingelegt; namentlich erwähnt ist dabei die "Oberförstershütte". Einladungen zu den Schießen gingen hinaus. Nach Bamberg allein 33 sowie nach Kronach 31. Außerdem nach Amberg, Bayreuth, Coburg, Forchheim, Heilsbronn, Hersbruck, Kulmbach, Pottenstein und Schweinfurt. Gleichzeitig erfolgten Ausschreiben im "Korrespondent von und für Deutschland" zu Nürnberg, in den beiden Bamberger Zeitungen "Bamberger Intelligenzblatt" und "Fränkischer Merkur", im Intelligenzblatt des Mainkreises in Bayreuth und endlich noch im Herzogl. Sächs. Regierungsblatt in Coburg. Echte Biedermeier‑Luft atmete der Inhalt der Einladungen.

"Lichtenfels, 18. Juni 1816.

P. P. Den 14. Juli d. J. wird dahier in Lichtenfels das jährliche feierliche Scheiben‑ und Vogelschießen eröffnet, welches am 18ten endet.

Wir geben E.W. als Mitglied unserer Gesellschaft hiervon die freundliche Nachricht, und bitten, uns mit Ihrer Teilnahme

zu beehren. Nebstdem, daß für Speisen und Erfrischungen um billige Preiße gesorgt ist, werden wir uns bemühen,

Ihren Aufenthalt auf mögliche Art angenehm zu machen. Wir versichern die vollkommenste Hochachtung

Der Ausschuß der Schützengesellschaft dahier

Lorenz, Oberschützenmeister."

Die Werbung blieb nicht ohne Erfolg. In reichen Scharen kamen Freunde. Die angesehensten Zeitungen des Umlandes wußten von dem glänzenden Verlauf des Schießens zu berichten. Sie konnten Organisation und Verlauf nicht genug rühmen. Unter den auswärtigen Gästen, die der Schützengesellschaft die Ehre erwiesen, befand sich u. a. der Hofadvokat Bergner aus Coburg, der mit sechs Schüssen sein Glück versuchte. Der prominenteste Teilnehmer war jedoch der letzte Abt von Banz, Gallus Dennerlein, der seinen Lebensabend im nahen Schloß zu Buch am Forst verlebte. Er gab nicht weniger als 13 Schüsse ab.

Die damalige gesellschaftliche Bedeutung der Lichtenfelser Schützenfeste geht übrigens aus einer Notiz hervor, welche der Bibliothekar Jäck 1832 im 4. Jahrgang seiner Bamberger Jahrbücher S. 696 brachte. Er schreibt wörtlich:

"21.7.1811 eröffnete sich zu Lichtenfels ein allgemeines Scheiben‑ und Vogelschießen, welches wegen der außerordentlichen Einleitung zu Vergnügen aller Art sehr vielen Gebildeten der umliegenden Städte, besonders Bamberg, sowohl in diesem als in den drei nächsten Jahren zu einer bis auf unsere Zeiten noch angenehmen Erinnerung besucht wurde. Erst nach der Entschöpfung vieler Einwohner von Lichtenfels durch Übergenuß der Vergnügungen, ließ die Bamberger Schützengesellschaft jene Einrichtung nachahmen."

Lichtenfels war sonach in jener Zeit in der Durchführung glänzender Schützenfeste beispielhaft. Daß allerdings der damit verbundene hohe Aufwand nicht von allen Teilnehmern auf die Dauer getragen werden konnte, braucht keiner Begründung. Zwangsläufig folgte dem schwungvollen Auftakt eine Zeit des Rückganges und der Ermüdung. Die Überlieferung erinnert daran, wie in den Jahren nach 1810 die Lichtenfelser anläßlich der Ablösung der alten Forstrechte unerwartet Besitzer von Waldabteilungen wurden. Jeder Inhaber eines Forstrechtes erhielt rund sechs Tagwerk Wald zugeschrieben. Leider war das Interesse an dem Zuwachs gering. Die Mehrzahl der Kleinbürger war bemüht, den Neubesitz so rasch als möglich in Geld umzusetzen. So ging der größte Teil des Waldes an Bewohner der Nachbarorte Schney, Reundorf, Buch am Forst, Ebersdorf, Obersiemau, Scherneck usw. über und damit praktisch für die Stadt verloren. Der Erlös wurde vielfach sehr rasch ausgegeben. Der Volksmund prägte aus diesem Anlaß das geflügelte Wort von "Kleinparis". Im Jahre 1910 veranstaltete die Scharfschützengesellschaft einen Fastnachtsball, bei welchem der Geist jener übermütigen Tage für einige Stunden wieder zum Leben erweckt wurde. Ein Lichtbild, das die Teilnehmer dieses Balles verewigt, wurde im Januar 1959 in einer Fränkischen Fastnachts‑Ausstellung der Stadtbibliothek Nürnberg gezeigt und fand infolge der Begleitumstände beachtliches Interesse.

Bei dem Schießen von 1816 wurden genau 1760 Schuß abgegeben, Unter Berücksichtigung der schwierigen Verkehrsverhältnisse war die Zahl der auswärtigen Schützen mit 58 verhältnismäßig hoch. Davon stellten Bamberg 13, Kronach 12, Schney 6, Coburg 4, Banz 3, Altenkunstadt, Bayreuth, Gleisenau, Marktzeuln, Oberlangenstadt und Redwitz a. d. R. je 2, während Ebensfeld, Geisfeld, Kulmbach, Langheim, Neuensorg, Neustadt a. d. Aisch, Obristfeld und Unterlangenstadt mit je einem Schützen vertreten waren.

Auch für die folgenden zwei Jahre 1817 und 1818 bieten die Rechnungen noch einigen Aufschluß zur Vereinsgeschichte. So kommt am 11. Mai 1817 ein Vertrag mit dem Handelsmann Elias Somerach zustande. Dieser pachtet um den Jahresbetrag von sechs Gulden die Grasnutzung in der Schießstätte. Dabei verpflichtete er sich, die Pflege der zu beiden Seiten der Schießstätte befindlichen Bäume sowie die Unterhaltung des Zaunes an der Schießstätte mit zu übernehmen.

1818 erhält der Schreiner Valentin Heinzenknecht für das Legen neuer Fußböden im Schießhaus, und zwar im großen Tanzsaal sowie im unteren Saal 27 Gulden ausbezahlt. Der Maurermeister Bögner, welcher die Bedachung des Schießhauses überprüft, ferner die Schießmauer verputzt und anstreicht und endlich auch den Mauerfuß der Vogelstange repariert, wird mit fünf Gulden abgefunden. Der Zimmermann Paul Hild von Burgberg verlangt für das Aufrichten der Vogelstange einen Gulden 48 Kreuzer, während Adam Schaupp für das Aufrichten des großen Zeltes und für das Laden der Böller 13 Gulden verrechnet. Der Bildhauer Fugmann von Redwitz a. d. Rodach lieferte den großen Vogel um fünf Gulden 30 Kreuzer, der hiesige Maler Franz Siebel fertigte die drei ersten Gewinnstscheiben um zwei Gulden 42 Kreuzer an. Franz Siebel, am 2. November 1777 zu Lichtenfels geboren, war ein bedeutender Silhuettenschneider, Porzellan‑ und Glasmaler. Er erhielt seine Ausbildung in Würzburg, Frankfurt am Main und Wien und trat 1804 als Maler in die Silbermannsche Porzellanfabrik in Hausen ein. Sicherlich waren die drei Scheiben und auch andere aus seiner Hand stammende Scheiben kleine Kunstwerke. Leider gingen sie inzwischen alle wieder verloren.

Aus Ursachen, die sich nicht mehr ermitteln lassen, wurde ab 1819 darauf verzichtet, die mit so großem Erfolg begonnenen Schützenfeste fortzuführen. Erst 15 Jahre später, 1834, erwachten sie zu neuem Leben. Zwangsläufig war damit ein wohl völliges Ruhen jeder Vereinstätigkeit verbunden. Ein Rückblick auf den Mitgliederzugang von 1810 ‑ 1818, wie ihn das älteste Schützenverzeichnis bietet, gibt folgendes Bild:

 

Jahr Einheimische Zugang Auswärtige Zugang Zusammen
1810 16 1 17
1811 28 47 75
1812 9 66 75
1813 - - -
1814 19 89 108
1815 - - -
1816 16 19 35
1817 - - -
1818 7 7 14
zusammen 95 229 324

 

Die Übersicht erweckt den Eindruck, als ob die Schützenfeste ab 1812 nur in zweijährigem Wechsel durchgeführt wurden. Die Folge dieser Übung war zwangsläufig ein Ruhen der Vereinsarbeit in den festfreien Jahren. Silbermann, anfänglich die Seele des Ganzen, war durch die Fülle der Aufgaben, die auf ihm ruhten und durch die Vielzahl der ihm anvertrauten Ehrenämter nicht mehr in der Lage, die Last der Arbeit fortzutragen. So scheint es zu einer Führungskrise gekommen zu sein, die erst nach geraumer Zeit wieder überwunden werden konnte.

Für die Jahre 1818 ‑ 1834 laufen die Nachrichten über den Fortgang des Schützenwesens äußerst spärlich. Das Beschlußbuch des Stadtmagistrats Lichtenfels enthält unter dem 22. August 1827 folgenden Eintrag: "Da das Schießhaus in einem polizeiwidrigen und gefahrvollen Zustand, nach abgenommener Einsicht befunden worden ist, soll dasselbe auf Kosten der Gemeinde eingelegt und das Material bis auf Weiteres an einem sicheren Ort verwahrt werden."

Ein halbes Jahr später, am 20. Februar 1828, befaßt sich der Magistrat wiederum mit der Schießstätte. Der Eintrag im Beschlußbuch lautet: "Die Erhaltung des eigentlichen Schießstandhäuschen: Es soll die Ausbesserung und Erhaltung des besagten Häuschens durch Akkord mit einem Zimmermann veranlaßt werden, und die Commune die Ausgaben hiefür bestreiten."

Nur vier Wochen später, am 28. März 1828, wurde aber der ebenerwähnte Beschluß wieder aufgehoben und vom Magistrat der neue Auftrag erteilt, das noch stehende "Stück Häuschen wegen äußerster Ruinosität" vollends abzubrechen.

Was war geschehen? Die im Jahre 1811 beim ersten großen Scheibenschießen behelfsweise errichteten Gebäude, für deren laufenden Unterhalt anscheinend nicht ausreichend gesorgt wurde, fielen mit der Zeit in sich zusammen. Sie mußten deshalb abgetragen werden. Der Anfang wurde 1827 mit dem Schießhaus, der Versammlungsstätte der Schützen, gemacht, während 1828 das Schießstand‑Häuschen folgte.

Im Jahre 1832 legte die Stadt ein neues Grundbuch an. In diesem ist auf Blatt 714 auch der Anger vor dem Coburger Tor, zwischen der Loh‑ und der Langen Brücke aufgeführt, "auf welcher die Schießstadt befindlich". Die Schießmauer mit dem Zielerstand war also noch vorhanden, Gebäulichkeiten irgendwelcher Art sind dagegen nicht mehr erwähnt. Als Eigentümerin der Schießstätte, wie überhaupt des Angers ist die Stadt Lichtenfels, Commune, eingetragen.

 

1834 Schuetzenhaus auf alter Einladung

 1834 fand sich in dem Kaufmann und Magistratsrat Johann Baptist Silbermann, dem Sohn des obenerwähnten Joseph Felix Silbermann, eine neue Kraft und die rechte Persönlichkeit zur Fortführung und Pflege der alten Tradition. Die Zeit war reif. Die Erinnerung an die stolzen Tage von 1811 ‑ 1818 war noch lebendig. Nicht weniger als 74 Männer aus Lichtenfels und nächster Umgebung traten im Jahre 1834 der Gesellschaft neu oder wieder bei. Das Beispiel Silbermanns zündete. Aus eigenen Mitteln errichtete dieser Mann auf dem Anger ein neues Schießhaus. Ein einstöckiger, langgestreckter, vierfenstriger Bau, mit Front zur Coburger Straße. Der jetzige Vorsaal verkörpert noch das einstige Schützenhaus.

Die zweite Taufe der Schützengesellschaft erfolgte am 29. Mai 1834. Aufschluß über Weg und Ziel gibt uns ein Rundschreiben vom 27. Mai 1834. Es lautet:

"Nach der am Sonntag, den 25. Mai 1834, getroffenen allgemeinen Verabredung sollte gestern in dem neuen Schießhause dahier eine Zusammenkunft der sämtlichen Liebhaber des Scheibenschießens stattfinden, um sich über die förmliche Constituierung einer Schützengesellschaft zu benehmen. Es erschienen aber blos die (neun) hier Unterzeichneten, welche wegen ihrer geringen Zahl sich nicht berufen fühlten, durch eine förmliche Beschlußfassung der Meinung der sämtl. verehrl. Herren Schützen vorzugreifen; indessen glaubten sie, einen schon längst ausgesprochenem Wunsch entgegenzukommen, wenn sie zu einer allgemeinen Einladung zu einer allgemeinen Zusammenkunft auf 29. Mai nachm. 3 Uhr im neuen Schießhaus Veranlassung geben.

Beratungspunkte:

  1. Die Vereinigung der sämtl. hiesigen und in den zunächst gelegenen Orten befindlichen Schützen zu einer förmlichen Schützengesellschaft.
  2. Wahl eines Ausschusses zur vorläufigen Besorgung der im Interesse. der Schützengesellschaft notwendigen Geschäfte und zum Entwurf einer Schützenordnung.
  3. Entscheidung, ob das neuerbaute Schießhaus dahier von der Gesellschaft sofort eigentümlich aquiriert oder ob solches einstweilen nur gemietet werden soll.
  4. Festsetzung des Mitgliedsbeitrages.
  5. Entscheidung der Frage, ob bereits heuer ein solennes Freischießen gehalten werden soll."

Unterzeichnet waren:. von Gradl ‑ Krug ‑ Silbermann ‑ Gießregen ‑ Burkart Förtsch ‑ Loeser ‑ Kuhn ‑ Brüll.

Drei Tage später kam bereits folgender Kaufvertrag zustande: "Lichtenfels, den 1. Juni 1834. Zwischen dem Bürger, Kaufmann und Magistratsrat Herrn Joh. Baptist Silbermann einer‑ und dem zur Ordnung der die neuzubildende Schützengesellschaft dahier betreffenden Angelegenheiten erwählten Ausschusse andererseits, wurde nach vorheriger Genehmigung durch die Generalversammlung vom 1.6.1834 nachfolgender Kaufvertrag abgeschlossen:

1. Die neugebildete Schützengesellschaft dahier übernimmt das in Frage stehende Schießhaus, wie solches von Herrn Joh. Baptist Silbermann dermal erbaut ist, samt dazugehörigen in und außerhalb desselben befindlichen Apparates, den Kugelfängen, Zielerhütte und des Inventars, wie solches gegenwärtig, wozu aber noch die von Herrn Silbermann bestellten 30 Stühle gerechnet werden, käuflich um die Summe von 914 Gulden.

2. An diesem Kaufschillinge sind bereits 214 Gulden durch die freiwilligen Beiträge der hiesigen Einwohnerschaft berichtet. Der Rest zu 700 Gulden bleibt auf dem gedachten Schießhause hypothekarisch versichert stehen und es verpflichtet sich die Schützengesellschaft, solche alljährlich mit 5 vom 100 zu verzinsen, dagegen macht sich Herr Magistratsrat Silbermann verbindlich, diese Schuld zu 700 Gulden aufzukündigen, wogegen es aber der Schützengesellschaft überlassen sein soll, demselben zu jeder Zeit entweder ganz oder teilweise abzutragen, jedoch unter der Bedingung, daß keine der zu leistenden Abschlagszahlungen weniger als 25 Gulden betragen darf.

Unterzeichner des Vertrages waren Advokat Burkart, Forstmeister Schuster, Bürgermeister Krug, Stadtschreiber Loeser und der Kaufmann und Magistratsrat Joh. Baptist Silbermann.

Die unter 2. erwähnte Liste der freiwilligen Beiträge ist noch vorhanden. Die Überschrift lautet:

Verzeichnis der Stifter des neuen Schießhauses zu Lichtenfels

mit Angabe ihrer Beiträge Aufgeführt nach alphabetischer Ordnung Anno 1834.

Der Erlös war, wie schon angeführt, 214 Gulden.

Ein neuer Vertrag kam eine gute Woche später, am 9. Juni 1834, vor Landrichter von Gradl zustande. Johann Baptist Silbermann fand sich in Begleitung des hiesigen Kaufmanns Joseph Brüll beim Landgerichte ein. Silbermann erklärte, er trete an Brüll seine Forderung an die Schützengesellschaft ab. Nachdem Brüll die Bedingungen des Vertrages vom 1.Juni 1834 auch für seine Person anerkannte, erfolgte ein Austausch der Urkunden.

Die erste Generalversammlung der wiedererrichteten Schützengesellschaft fand am 12. Juli 1834 statt. Die vom Ausschuß entworfenen neuen Satzungen wurden mit Stimmenmehrheit angenommen. Gleichzeitig setzte man das Freischießen für die Zeit vom 24. mit 31. August 1834 fest. Zur Bestreitung der durch das Fest anfallenden unvermeidbaren Ausgaben, mußte jeder Schütze sich zur Leistung eines Sonderbeitrages in Höhe von 30 Kreuzern sowie zur Mindestabnahme von sechs Losen verpflichten.

Da Zweifel bestanden, ob die Schützengesellschaft bei Durchführung des Freischießens diesem durch Veranstaltung und Zulassung von Spielen einen volksfestartigen Charakter verleihen dürfe, wurde vorsorglich die Entscheidung der Regierung in Bayreuth erholt. Im Gleichlaut zu einer Anfrage, die um dieselbe Zeit die Schützengesellschaft Bamberg veranlaßt hatte, erkannte die Behörde, Hazardspiele müßten strenge ausgeschlossen bleiben. Keineswegs aber sei es dem Magistrat verwehrt, kleine und nur zur Erhöhung des Vergnügens dienende Gesellschaftsspiele für die Dauer des Schießens zuzulassen. Damit war der Weg zum guten alten Freischießen wieder geebnet.

Die Werbetrommel wurde kräftig gerührt. Am 24. Juni 1834 ging eine im Steindruckverfahren von Johann Schier, Lichtenfels, hergestellte Einladung in alle Winde. Der Briefkopf trug als Zierde ein Bild des neuen Schießhauses, davor eine stattliche Linde. Die Schießbahn war zu beiden Seiten durch je eine hohe Pappelreihe abgeschlossen. Im Vordergrund unterhält sich ein junger Bürger mit zwei Damen. Der Wortlaut des zeitgeschichtlich beachtlichen Schreibens soll dem Leser nicht vorenthalten bleiben.

"Die hiesige Schützengesellschaft gibt sich die Ehre hiemit anzuzeigen, daß sie in diesem Jahre, und zwar vorn Sonntag, den 24. August anfangend, bis Sonntag, den 31. des nämlichen Monats, ein solennes Freyschießen veranstaltet habe

Die Einlage besteht in 1 Gulden 30 Kreuzer für das Loos zu sechs Schüßen und die drey ersten Gewinnste werden mit Dreißig, Vier und zwanzig und Achtzehn Gulden garantiert, die übrigen hingegen nach Verhältnis der Einlage reguliert.

Bemerkt wird hiebey, daß

1. alle Gattungen gezogener Büchsen und Standrühre, welche nicht unter 18 Kugeln auf das Pfund bayerischen Gewichtes schießen, zugelaßen werden,

2. daß die Kaßa am Samstag, den 30. August, Mittag 12 Uhr geschloßen und die Abgabe der Loose eingestellt werden wird, und bis Sonntag, den 31. desselben Monats, Abends 7 Uhr abgeschoßen sein muß; endlich daß

3. über die Ordnung bei dem Schießen der in dem Schießhause befindliche Anschlag das Nähere besagt.

Indem man schließlich versichert, daß für Vergnügungen, Erfrischungen aller Art, Musik und Spiele auf dem von der herrlichsten Lage begünstigten Schieß‑Platze bestens gesorgt sey, beehrt man sich alle Liebhaber des Scheibenschießens ergebenst zu ersuchen, an der Verherrlichung des Festes durch ihre Gegenwart Theil zu nehmen."

Unterzeichner der Einladung war der damalige Bürgermeister Georg Krug.

Der bayerische Herzog Wilhelm zu Schloß Banz wurde durch eine eigene Abordnung eingeladen. Die Chaise nach Banz stellte Gastwirt Osta, der Besitzer des Wirtshauses "Zum schwarzen Kreuz".

Insgesamt nahmen von der Gesellschaft 60 Schützen teil, von denen jeder seinen halben Gulden zum Einrichtungsfonds gab. Außerdem traten während des Schießens 13 weitere Herren bei, deren Zuwendungen 19 Gulden 30 Kreuzer ausmachten.

Die Aufwendungen für das Schießen blieben in erträglichem Rahmen. Das Orchester stellte der hiesige Stadtmusikus Kerling um 126 Gulden. Die Zieler erhielten als Lohn sowie für die gelieferten Scheiben zusammen 60 Gulden 36 Kreuzer. Für die Führung des Schießregisters bekam Schützensekretär Seidel 16 Gulden. Für die Bürgerwehrsoldaten, die das hiesige Landwehrbataillon zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung abstellte, wurden elf Gulden 50 Kreuzer ausgegeben. Der Hut für den Zieler, der in Schney bei Nikolaus Keyßer gekauft wurde, kostete einen Gulden. Die Böller zum Schießen entlehnte man in Staffelstein. Der Tagelöhner Müller, der sie holte und zurücktrug, erhielt dafür zwölf Kreuzer. Ein gewisser Niklaus Fasching, welcher bei den Festvorbereitungen sich verletzte, wurde mit drei Gulden 30 Kreuzer abgefunden.

Die Zulassung von auswärtigen Spielen wurde dem Porzellanmaler Daniel Heße in Bamberg durch Vertrag um 250 Gulden überlassen. Heße, der früher in Lichtenfels tätig war und schon 1811 als Hauptorganisator des Festes hervortrat, stand in einem besonders engen und herzlichen Verhältnis zu den Lichtenfelser Schützen. Die im Schießhaus gegebenen Bälle erbrachten eine Einnahme von 152 Gulden. Die beiden Kugelbahnen warfen 21 Gulden ab, während die Seiltänzer, die am Anger ihre Kunst zeigten, 16 Gulden ablieferten. Das Schießen selber brachte bei einem Absatz von 2230 Losen 557 1/2 Gulden ein. Die Gesamteinnahmen am Fest betrugen 1001 Gulden 34 Kreuzer. Das war ein guter Anfang.

Nach dem Freischießen von 1834 zählte die Schützengesellschaft 74 Mitglieder. Nach Ständen und Berufsklassen gegliedert, setzten sich diese wie folgt zusammen:

Advokaten, Ärzte, Beamte und Lehrer 21
Handels- und Kaufleute 14
Handwerker und Wirte 35
Sonstige Personen 4
Zusammen 74

1835 wurde auf der Schießstätte eine Allee aus 25 Pappelbäumen aufgestellt, welche in Vierzehnheiligen ausgegraben wurden.

Auch die nächsten Jahre von 1835 ‑ 1840 führten ohne besondere äußere Vorkommnisse zu einem guten Fortgang des Vereinslebens. Der Schießsport wurde gefördert, die Freischießen mit herkömmlichem Schwung durchgeführt. Man war bemüht, immer Gutes zu bieten sowie für Unterhaltung zu sorgen. 1836 zum Beispiel gab eine englische Reitergesellschaft drei Vorstellungen, 1837 zog ein Wachsfigurenkabinett die Zuschauer an. Außerdem erbaute der Lichtenfelser Bürger Adam Behringer ein Karussel, damit auch die Jugend zu ihrem Recht kam. In diesem Jahr erhielt ferner das Schießhaus durch den Maurermeister Johann Pfrang einen neuen Anstrich; Kostenpunkt acht Gulden 24 Kreuzer. Der Schreinermeister Johann Siegelin in Schney mußte für das Bildnis des bayerischen Königs einen kunstvollen, vergoldeten Rahmen für 13 Gulden herstellen, ein für damalige Verhältnisse ziemlich hoher Betrag. Zum Freischießen 1837 erließ Schützenmeister Krug im "Fränkischen Merkur" zu Bamberg eine "Bekanntmachung", die so recht kundtut, wie doch die Lichtenfelser sich der Zugkraft ihres Schießens bewußt waren.

Er schreibt: "Das feierliche Scheibenschießen zu Lichtenfels wird in diesem Jahre vom 30. Juli bis 6. August inclusive abgehalten, wozu die Freunde dieses öffentlichen Vergnügens hiermit höflichst eingeladen werden. Bewirthung an der Table d'Hote auf dem Schießplatze, Erfrischungen jeder Art, wohlbesetzte Musik und andere anständige Unterhaltungen werden die Gäste aufs vollkommenste zufrieden stellen". Um dem Traiteur Johann Dumproff die Möglichkeit zur guten Ausstattung des Wirtschaftsbetriebes zu verschaffen, erhielt er aus der Schützenkasse eine Gratifikation von 30 Gulden. Wie nicht anders zu erwarten, fand das Fest einen großen Zulauf. Aus der Umgebung beteiligten sich die Schützengesellschaften Altenkunstadt, Coburg, Kronach, Scheßlitz, Staffelstein und Weismain. Auch das Freischießen von 1838 brachte gute Umsätze. Als Sonderheiten waren wieder ein Panorama und ein Wachsfigurenkabinett vertreten. 1839 beehrte sogar "Seine Exzellenz Herr Regierungspräsident Freiherr von Andrian" mit einigen Offizieren das Schießen. An Speise und Trank für den hohen Herrn und die ihn begleitenden Offiziere gingen elf Gulden 48 Kreuzer auf.

Für die folgenden zwanzig Jahre laufen die Nachrichten zur Vereinsgeschichte sehr spärlich. Bei der Plünderung des Schießhauses nach Kriegsende, im April 1945, gingen die Schützenrechnungen von 1841 ‑ 1860 leider verloren. Nur einige wenige Hinweise im Stadtarchiv überbrücken diesen Zeitraum. Die Bemühungen zur Wiederbeischaffung der verschollenen Rechnungsbände blieben erfolglos. Sehr wahrscheinlich wurden sie verheizt.