Der letzte Oberzieler
Die tanzenden Oberzieler waren eine Besonderheit der Schützengesellschaften von Kronach, Staffelstein und Lichtenfels. Allerdings wachsen aus den Reihen der Zieler – sie melden den Schützen die Treffer auf den Zielscheiben – keine Vortänzer mehr nach. Ohne „Jambalaya“ wird diese Tradition in Lichtenfels wahrscheinlich nicht mehr weitergeführt werden.
Als Gewächs urfränkischen Bodens ist Albrecht Geldner 1929 auf den Burgberg zur Welt gekommen. Darauf ist der „echte Berger“ stolz, obwohl der Ort, laut Geldner, bereits 1929 in Lichtenfels eingemeindet worden ist. Mit dem heutigen Stadtteil hatte das Dorf damals nicht viel gemein, in dem der 11- oder 12 jährige dem Bauern Fuß mit den Pferden half. Freie Kost und Logis lohnten dem jungen Pferdepfleger die Arbeit. Ab und zu bekam er ein Täubchen oder ein Stück Fleisch mit nach Hause, für die Familie eine willkommene Unterstützung in der „schweren Zeit“.
Wenn er den Tieren sonntags ein Bad im Main verschaffte, war es natürlich auch für den Jungen ein feuchtes Vergnügen. Doch andererseits musste er oft schon um 2 Uhr in der Frühe aus den Federn, dann habe er die „Gäul von Islich nach Schammersdorf zum Holzschlaafen“ getrieben.
Dabei ist es aber nicht geblieben. Ein paar Jahre später machte sich der junge Mann eines schönen Kirchweihmontags auf den Weg zum Fest. Da begegnete ihm und ein paar Freunden in Lichtenfels „zwa Moggala, Sie wissen scho, Kälbchen, die sollt aner zum Schlachter bringa. Mir ham sa fix vom Anhänger runter durch die Stadt nach Burchberg getriebn.“
Mit großem Hallo begrüßten die Kirchweihgänger den Zuwachs und sorgten für einen kräftigen Schluck – Milch. Sie hatten vermutlich genauso viel Spaß am Metzger Preusla (vom Preußischen Hof), der unter den Blicken der Spötter seine verlorenen Kälbchen „wieder einzusammeln“ hatte.
Später half er im Urlaub auch auf dem Hof seiner Schwiegermutter mit. „So manches Mal hat er in aller Herrgottsfrühe mit der Peitsche geknallt, bis die gesamte Nachbarschaft wach war“, erzählt Gunda Geldner. Böse seien sie darüber nicht gewesen, die hätten nur gelacht.
Seine Mischung aus Idealismus, Gutmüdigkeit und tollkühnem Mut hat ihn vielen Mitbürgern und Vereinskameraden zum „Original“ gemacht. Unvergessen sind seine abenteuerlichen Darbietungen als Fakir Albri Geli in so manchem Festzelt. Er ließ sich die Brustbehaarung anzünden. Sammelte er hinterher eine „Risikozulage“ dafür ein, spendete er das Geld für einen guten Zweck. Und immer wieder stimmte die Blaskapelle das südamerikanische Lied an, das ihm seinen Spitznamen eingebracht hatte: Vor mehr als 40 Jahren war das temperamentvolle „Jambalaya“ ein bekannter Hit gewesen. Den Lichtenfelsern ist es inzwischen ein Evergreen, und die letzte Strophe, die Albrecht Geldner für seine Frau Gunda anfügte, gehört ganz selbstverständlich dazu. „Doch am Anfang war mir das entsetzlich peinlich, einmal habe ich ihn sogar von der Bühne geholt“, sagt die Besungene lächelnd. Sie hat sich daran gewöhnt.
Schützenfestzug in den 1960er Jahren | Schützenfest nach der Proklamation in den 1980er Jahren |
Auch daran, dass ihr aktiver und engagierter Mann manches Mal nicht viel Zeit hatte. Fußball, Kegeln und soziales Engagement boten in 44 Arbeitsjahren den nötigen Ausgleich. Schon nach dem Krieg hatte der junge Mann geholfen, die Freiwillige Feuerwehr, die „Burgbergwehr“, mit aufzubauen. Einen Borgwart, vormals „Säuauto“ der Stadt Lichtenfels, habe er mit einem halben Dutzend Kameraden zum Löschfahrzeug umgebaut, erzählt Geldner. Über 30 Jahre war der Lichtenfelser als Kommandant für die Einsätze verantwortlich. Auch beim alljährlichenn "Todaustragen" zu Beginn der Fastenzeit, einem bis heute gepflegten alten Brauch der "Bergschlossfreunde", bei dem die gesammelten Spenden für einen guten Zweck zur Verfügung gestellt werden, fehlte der "eingefleischte Berger" nie. Den Takt gab Geldner auch bei den Scharfschützen an. Sein Chef bei den Stadtwerken und Schützenmeister der Lichtenfelser Schützengesellschaft, der „Gas-Peter“, sei auf ihn zugekommen und habe ihn für das Amt des Oberzielers gewonnen. Und das, obwohl er nie selbst geschossen hat. Auf dem sechs Kilometer langen Weg des Oktoberfestzuges in München zertanzte er 1991 regelrecht sein Schuhwerk.
Die Zieler und Oberzieler in den 1950er Jahren | ...beim Oktoberfestzug | ...und dem Schützenfest in Lichtenfels |
Hochgeehrt und schon vor sieben Jahren zum Ehrenoberzieler ernannt, tritt er jetzt, mit 70 Jahren von seinem ehrenvollen Amt zurück. Ein wenig Leid tut es ihm schon, doch der gerade, froh gesinnte Franke wird schließlich weiterhin für gute Laune auf den Vereinsfesten sorgen, Geselligkeit beim Schafkopfen pflegen. Und die Lichtenfelser begegnen „ihrem“ Jambalaya oft genug auf dem Moped in der Stadt – oder in Kemmern auf dem Keller.
Artikel aus dem „Wochenblatt“ 8.Jahrgang Nr. 35 vom 1.9.1999
Ehrenoberzieler Albrecht Geldner ist am 9. Oktober 2016 verstorben